12. Dezember 2012

Schöne Winterzeit im Garten Picker

Wichtels Adventsgeschichte
zum 12. Dezember


Ein Wichteldrama im Zwillbrocker Venn

Mitten in dem See, der sich im Zwillbrocker Venn befindet, liegt eine Insel. Die wird nur von Tieren bewohnt. Mit einer Ausnahme: Im vorletzten Sommer hatte sich dort ein junges Wichtelpärchen niedergelassen. Die beiden wollten für die Dauer von zwei Sommern ein Aussteiger-leben versuchen. 

Und wie das so ist, wenn sich zwei junge Wichtel auf einer einsamen Insel befinden, es kam wie es kommen musste, und die junge Wichtelin brachte zu den ersten Winterfrösten ein Wichtelkind zur Welt. Die Möwen brachten die frohe Kunde zu den Festlandwichteln. Kurz darauf brach der Winter mit ganzer Kraft ins Land. Schnell bildete sich eine dicke Eisschicht auf dem See. Die kleine Familie hatte es sich aber unter einer Baumwurzel gemütlich gemacht, während es draußen bitter kalt war.

Es war früher Morgen, als die Festlandwichtel durch den Lärm von Motorsägen aus dem Schlaf gerissen wurden. Das waren unübliche Geräusche, darum zogen sich die erwachsenen Wichtel warm an, um ins Freie zu gehen und nach der Ursache des Lärmes zu sehen.

Im Zwielicht des beginnenden Tages mussten sie entsetzt zusehen, wie zwei Menschengestalten auf der Insel ihr Unwesen trieben. Hilflos sahen die Wichtel, wie diese Unholde die Bäume dort fällten und sich noch nicht einmal durch das Geschrei der Möwen von ihrem Tun abhalten ließen. Die Unholde verschwanden wie sie gekommen waren.

»Mein armes Kind, mein armes Enkelkind!« Die Wichteloma brach in Tränen aus, denn sie konnte sehen, dass ein gefällter Baum direkt dort lag, wo die kleine Familie ihre Wohnung hatte. Schnell war ein Trupp zusammengestellt. Nussschalen, die als Schlitten dienten, wurden von den Möwen Richtung Insel gezogen. Es gelang den Wichteln, die kleine Familie unverletzt aus den Trümmern zu ziehen. Aber einer der gefällten Bäume hatte die Küche der Wohnung und auch die Vorratsräume zerstört. In warme Decken gehüllt wurde die arme Wichtelfamilie auf den Schlitten zum Festland gebracht. Sie hatten alles verloren, nur ihr Leben behalten.

Die Großeltern freuten sich, wenn auch nur heimlich, dass ihr Enkelwichtelkind bei ihnen war. Die Aussteigerwichtel hatten ihre Näschen voll von dem Abenteuerleben und beschlossen, im Frühjahr ein Häuschen in der Wichtelgemeinde zu bauen. So wurde doch noch alles gut.

Im Herbst des Jahres hielt sich die Kräuterwichtelin in dem Dorf auf. Am Vortag hatte sie im Umfeld eine Stelle ausgemacht, wo besonders kräftige Heilpflanzen wuchsen. Ihre Taschen und Körbe waren aber schon voll. Am Nachmittag des folgenden Tages ging sie zu der Stelle zurück. Missmutig stellte sie fest, dass zwei Menschen auf der Stelle standen und mit ihren großen Schuhen alle Heilpflanzen bereits zertreten hatten.

»Rechts steht Lulatsch, links siehst du Blödmann!« Eine Möwe hatte sich neben der Kräuterwichtelin niedergelassen und wies mit dem Schnabel in Richtung der Männer. Die weise Frau wusste, dass die Möwen einen vorlauten Schnabel hatten. Über Menschen äußerten sie sich meist abfällig, wie die Namensgebung schon erkennen ließ. Hellhörig wurde die Wichtelin aber doch, als die Möwe weitererzählte: »Das sind die Holzfäller, die beinahe eine Wichtelfamilie umgebracht hätten!«

»Warum haben sie das gemacht? Kannst du mir das sagen?«

Die Möwe putzte sich angelegentlich die Federn, bevor sie weitersprach: 
»Der Lulatsch ärgerte sich über die Kormorane, die hätten ihm die Fische weggefangen, meinte er. Der Blödmann war sauer, dass wir ihm auf das Dach seiner Bruchbude gekackelt haben. Das reichte beiden als Grund. Aber denen haben wir es diesen Sommer gegeben!«

»AAHHHHhhahahahahaha …«, wie auf Kommando lachten die Möwen aus der Umgebung auf. Irritiert von dem plötzlichen Krach sahen sich die Männer um. Als wieder Ruhe eingetreten war, sprach die Möwe weiter: »Das war auch eine Frage der Ehre, so einen Frevel lassen wir uns nicht gefallen!«

»Was habt ihr denn gemacht?«, wollte die Wichtelin wissen.

»Na, was sollen wir schon gemacht haben? Wir haben ihnen die Fische verjagt und die Dächer ordentlich zugekackt!«

Wieder brach ohrenbetäubendes Gelächter aus.
Die Wichtelin musste grinsen.

Watschelnd trat die Möwe näher an die weise Frau heran und druckste herum: »Sag mal, es geht das Gerücht, dass du zaubern kannst. Was ist da dran?«

»Hmmm, zaubern kann ich nicht. Nur ein bisschen hexen. Was hast du denn auf deinem Herzchen, dass du jetzt damit ankommst?«

»Ich will nicht lange um den heißen Brei reden. Der Lulatsch ist ziemlich sauer auf uns. Gerade wollte er den Blödmann überreden, bei einer ganz miesen Sache mitzumachen. Ich fürchte, er macht ernst.«

Besorgt hörte die Wichtelin der Möwe zu. Die berichtete weiter: »Der Lulatsch will sich eine Flinte besorgen und heimlich auf Jagd gehen. Er hat geschworen, dass er uns abknallen will. Das müssen wir irgendwie verhindern.«

Die Kräuterwichtelin betrachtete die beiden Männer. Die hatten neben sich eine Tasche abgestellt, zu der sie sich ständig bückten, um Bierflaschen herauszuholen, diese dann austranken und wieder verstauten. Richtig hexen, im engeren Sinne, konnte die Wichtelin nicht. So meinte sie zumindest. Ein Trick gelang ihr schon. Dazu mussten aber die Bedingungen stimmen. Es funktionierte nur bei Menschen und auch nur dann, wenn der Mensch einen bösen Gedanken hegte.

›Was soll denn schon passieren?‹, überlegte die weise Frau, ›entweder die Möwe sagt die Wahrheit, dann trifft es keinen Falschen. Oder die Möwe hat mich angeschwindelt, dann klappt der Hexentrick nicht. Versuch macht klug!‹

Sie forderte die Möwe auf, ein Stück zur Seite zu fliegen, konzentrierte sich und fixierte einen Punkt am Rücken von Lulatsch. Als dieser sich wieder zu der Tasche bückte, streckte sie explosionsartig ihr Ärmchen in Richtung des anvisierten Punktes und zischte heraus: »Das darfst du nicht!«

Der Lulatsch stockte in der Bewegung, stand krumm wie eine windschiefe Krüppelkiefer und konnte sich nicht mehr rühren. Tränen schossen aus seinen Augen. »Ääöööhhhh …«, krächzte er und schnappte nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Die Wichtelin grinste selbstzufrieden. 
»Was hast du mit dem gemacht?«
Erstaunt sahen auch die anderen Möwen die Wichtelin an.
Die lachte nur und sagte: »Der gute alte Hexenschuss. Und wenn der Lulatsch in der nächsten Zeit auch nur den Hauch eines bösen Gedankens hegt, wird es ihn wieder erwischen!«

Unter dem Gelächter der Möwen schleppte der Blödmann den krummen Lulatsch aus dem Venn. Die Wichtelin beschloss, die Möwen in Zukunft Lachmöwen und auch den See nur noch Lachmöwensee zu nennen. Der Lulatsch hegte nur noch gute Gedanken, denn Wichtelhexerei wirkt nachhaltig. Das Venn birgt halt große Geheimnisse. Und wer dort nicht aufpasst, kann stolpern, vielleicht sogar über: Der Tote im Zwillbrocker Venn: Ein Münsterland- Krimi




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