17. Dezember 2012


Schöne Winterzeit im Garten Picker
Wichtels Adventsgeschichte
zum 17. Dezember


Verein zur Rettung der Wichtel 

»Heute ist Papas Geburtstag, da kommt Opa zu Besuuuuch!«, freute sich das Wichtelmädchen Polli und hüpfte in der kleinen Stube herum, die sich Familie Wichtel unter einer Baumwurzel eingerichtet hatte. »Ich habe ihn soo lange nicht gesehen, mindestens ein Jahr! Oder waren es sogar drei Wochen?« Die Wichtelmama lachte. »Drei Monate waren das ungefähr, meine Kleine. Und: ja, klar! Ich freue mich auch auf Opa!«

Plötzlich hörten sie ein schwaches Klopfen an der Tür. Polli stürzte hin und riss sie auf. Der Wichtel, der sich von außen erschöpft dagegen gelehnt hatte, verlor das Gleichgewicht und kullerte mit einem erschreckten Aufschrei in die Wohnstube der Familie.

Polli und ihre Eltern blickten verdutzt auf den kleinen, ziemlich dicken Wichtel, der mit wirrem Haar vor ihnen auf dem Boden herumkugelte. Polli erkannte ihn als Erste:

»Oooopaaa!«, rief sie begeistert und umarmte den willkommenen Gast stürmisch. Opa lachte.
»Kind! Lass mich doch erst mal aufstehen, ich komm ja kaum noch hoch!«

Mama und Papa Wichtel sahen sich betreten an. Sie wollten nicht zugeben, dass sie Opa kaum noch erkannt hätten, und beeilten sich, ihm aufzuhelfen.

»Ich weiß schon, was ihr denkt!«, ächzte Opa und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich bin ziemlich fett geworden in der letzten Zeit und die feinen Klamotten stehen mir auch nicht wirklich!«

»Samt und Seide, jetzt seh ich das erst!«, staunte Mama Wichtel. »Hast Du etwa im Lotto gewonnen, Opa Wichtel?«

»Ach iwo!«, Opa winkte unwirsch ab. »Was ganz Blödes ist mir passiert! Ich bin in die Hände von Menschen geraten!«

»Von Menschen?«, fragte Polli neugierig. Opa spuckte aus:

»Ja. Stellt Euch mal vor, welche Schmach das ist ... mich hat der »Verein zur Rettung der Wichtel« in die Hände bekommen!«

»Verein zur Rettung der Wichtel? – Der Wichtelpapa lachte. »Was ist das denn für ein Blödsinn? So etwas können sich auch nur Menschen ausdenken, oder? Als ob wir gerettet werden müssten! Wir sind ein stolzes Volk, das für sich selber sorgen kann! Hast Du denen das nicht gesagt, Opa?«

»Klar hab ich das!«, antwortete Opa unwirsch. »Aber die haben mir ja nicht zugehört! Sie waren ja alle sehr nett zu mir, aber sie haben mich behandelt wie einen Idioten!«

»Was haben die Menschen denn mit Dir gemacht, Opa?«, fragte Polli neugierig.

»Also ernährt haben sie Dich zumindest gut!«, der Wichtelpapa schnalzte mit der Zunge und tätschelte grinsend Opas dicken Bauch. »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, warst Du ja kaum die Hälfte!«

»Ach, hör doch auf! Vollgestopft haben sie mich! Und keine Ruhe haben sie gegeben, bis ich meinen Teller leer gegessen hatte. Immer wieder. Dabei wollte ich an dem Tag einfach nur ein paar Beeren pflücken gehen ... da sieht mich so ein dummes Weib, packt mich und steckt mich in ihren Korb! Sie hat mich dann ihren Freundinnen vorgeführt, die alle meinten, ich sei viel zu dünn. Also haben sie angefangen, überall Geld für mich zu sammeln. Und weil mich alle so niedlich fanden, kam da ganz schön was zusammen. Also haben sie mir meinen guten, alten Leinenmantel weggenommen und mich in diese tuntigen Klamotten gesteckt!«, redete Opa sich in Rage.

»Die fanden Dich also niedlich?«, der Wichtelpapa konnte sich vor Lachen kaum noch halten. »Deshalb riechst Du wohl auch so blumig?«

»Die haben mich gebadet!«, knurrte Opa mit hochrotem Kopf. »Die blöden Weiber haben mir einfach die Klamotten ausgezogen und mich durch so eine ekelhafte Brühe gezogen! Nun stinke ich wie ein Iltis nach irgendetwas, was die »Parfüm« nennen ...«

»Warum bist Du nicht einfach abgehauen?«, erkundigte sich Polli und rümpfte die Nase.

»Weil der Verein zur Rettung der Wichtel nichts dem Zufall überlässt! Die haben mich doch tatsächlich in einen Käfig gesteckt!«, antwortete Opa tonlos.

Nun hörte auch bei Papa Wichtel der Spaß auf: »Die haben Dich eingesperrt? Dich, ein freies Mitglied vom Volk der Wichtel?«, fragte er entgeistert.

»So sieht es aus, mein Sohn!«, bestätigte Opa schicksalsergeben. »Abhauen konnte ich erst, als so eine dumme Schnepfe mal versehentlich die Tür offen gelassen hat.«

»Wir müssen uns vor den Menschen hüten, vor den guten genauso sehr wie vor den bösen«, meinte Mama Wichtel und reichte Opa eine Tasse von ihrem frisch gebrühten Eichelkaffee. »Ins Netz der Gutmenschen zu geraten ist eine ernste Sache, wie man an Opa sieht!«

Seit diesem Tag bekommen wir die freundlichen Wichtel nur noch selten zu sehen. Wie Schatten huschen sie durch das Gebüsch davon, wenn sie von Weitem einen Menschen kommen sehen. Denn es könnte ja ein Gutmensch sein ...


Im Netz der Gutmenschen - Wie eine Gesellschaft sich selbst erledigt - ein Kindle-eBook von Hanns B. Ürgerschreck



Zurück zu #News #Literatur #Kunst 
oder »Ein Buch lesen!«