20. Dezember 2012


Wichtels Adventsgeschichte
zum 20. Dezember


Eine Wichtelin im Land der Elfen

Eines Tages besuchte Sina, eine junge Wichtelin, mit ihrer Mutter den Markt. Dort wollten sie frische Kräuter gegen Holunderblüten tauschen.
Die Wichtelmutter traf dort auf eine entfernte Verwandte und die beiden beschlossen, ein wenig zu schwatzen. Sina langweilte sich und  ging alleine über den Markt. So schlenderte sie an den Ständen entlang, betrachtete die Auslagen der Markttreibenden und fand sich irgendwann in einem Teil des Platzes wieder, den sie vorher noch nie aufgesucht hatte.

Dort hatten Schmuckwichtel ihre Stände aufgebaut. Wichtel legen keinen Wert auf  Geschmeide, sind aber geschickte Handwerker und fertigen darum aus Elfensteinen schöne Schmuckstücke an. Diese finden reißenden Absatz bei den Elfen. 

Die junge Wichtelfrau betrachtete die schönen Elfen. Sie trugen feine Kleider und edlen Schmuck.

»Sind sie nicht wunderschön? Das ist meine Elfenfamilie!« 
Eine junge Wichtelin sprach Sina an. Voller Stolz  zeigte sie auf die Gruppe, die sich um den Stand des Schmuckwichtels gestellt hatte. »Bei den Elfen fühle ich mich sehr wohl und schau mal, was ich von ihnen zu Weihnachten geschenkt bekommen habe.«
Um den Hals trug Rena, so hieß die Wichtelin, ein Band. Daran befestigt funkelte ein kleiner Elfenstein. 
Stolz erklärte Rena, dass sie jedes Jahr zu Weihnachten einen solchen Stein geschenkt bekommt. Sie sei den Elfen sehr dankbar für das Leben bei ihnen. 
»Komm doch auch mit. Die Nachbarfamilie wünscht sich auch ganz sehnlichst eine Wichtelin. Mach mir und ihnen die Freude.«

Sina überlegte. Mit dem Gedanken, in die Ferne zu ziehen und ein anderes Leben als in dem Wichteldorf zu führen, spielte sie schon eine Weile. Als dann die Elfenfamilie zu ihr trat und sie auch bat mitzukommen, stand ihr Entschluss fest. Schnell lief sie zu ihrer Mutter, verabschiedete sich von ihr und schloss sich den Elfen an.

Die Wichtelmutter war sehr traurig, aber sie wusste, dass sie eine reisende Wichtelin nicht aufhalten konnte.

Freundlich wurde Sina in der Elfenfamilie aufgenommen. Das neue Leben betrachtete Sina anfangs mit Spannung. Die Elfen verbrachten viel Zeit mit Körperpflege. Sie legten sehr viel Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Da blieb ihnen nicht mehr viel Zeit für die alltäglichen Dinge des Lebens. Rena erklärte das Sina ausführlich. Fürsorge und Dankbarkeit würde sich für die Wichtel im Verrichten der groben Dienste zeigen. So sei es selbstverständlich für jeden Wichtel der bei den Elfen lebt, zu kochen, zu putzen und dafür zu sorgen, dass es den Elfen an nichts fehlt.

Sina fühlte sich den Elfen verpflichtet. Beim ersten Weihnachtsfest im Elfenland bekam sie tatsächlich auch einen Elfenstein am Band geschenkt und die Elfen bestanden darauf, dass sie diesen auch trägt. Nach den Feiertagen stand das Fest zum Neuen Jahr an. Die Elfen fanden sich dazu im Schloss der Elfenkönigin ein und nahmen natürlich ihre Wichtel mit. 

Auf dem Weg zum Schloss war Rena sehr aufgeregt. »Es ist eine große Ehre für jeden Wichtel, bei diesem Fest helfen zu dürfen. Meine Elfen werden, wie auch im letzten Jahr, stolz auf meine Leistung sein!«, erklärte sie Sina. 
»Übrigens werde ich nächstes Jahr heiraten. Meine Elfen möchten kleine Wichtelkinder im Haus haben. Einen guten Wichtelmann haben sie bereits für mich ausgesucht.« Rena strahlte vor Glück und Stolz.

»Du suchst dir deinen Mann nicht selbst?«
Sina war erstaunt, Wichtelinnen aus dem freien Volk der Wichtel lassen sich nicht in die Partnerwahl hereinreden.

»Ich habe doch keine Zeit. Außerdem vertraue ich meinen Elfen. Sie würden nie etwas tun, was mir schaden könnte.«

Das machte Sina nachdenklich, aber, im Schloss angekommen, blieb bald keine Zeit für Überlegungen. Viele Wichtel wichtelten, was das Zeug hielt, kochten, brachten Speisen und Getränke, spülten und wischten. Das Neue Jahr kam, ohne das Sina davon Kenntnis nahm, denn sie war zum Spüldienst eingeteilt. Am Morgen nach dem Fest bereiteten die Wichtel das Frühstück für alle Gäste, bevor sie völlig erschöpft auf dem Boden in der Küche einschliefen.

So verlief auch das Jahr. Sina arbeitete viel und hart. An Renas Hochzeit konnte Sina nicht teilnehmen, denn an dem Tag lag sie krank in ihrem Bett. Ein plötzlicher Schwindel hatte sie erfasst. Die Elfen ließen sie liegen. Der Elfenarzt kannte sich mit Wichtelgebrechen nicht aus. Sina lag erschöpft auf ihrem Bett. Die Elfen dachten wohl, dass sie eingeschlafen sei. So unterhielten sie sich. »Das wird sich ja wohl nicht wiederholen? Einen solchen unzuverlässigen Wichtel können wir nicht gebrauchen. Und wer weiß, vielleicht ist das ja eine Erbkrankheit. Das hätte uns noch gefehlt, das Haus voller kranker Wichtel. Damit wäre nichts gewonnen! Warten wir ab, was weiter geschieht.«

Das nächste Weihnachtsfest kam und damit auch die Elfensteinbescherung. Mit einem vorwurfsvollem Ausdruck im Gesicht gab die Elfe Sina den Stein. »Du weißt, dass du sehr oft krank warst, liebe Wichtelin. Eigentlich hättest du den Stein deshalb nicht verdient. Aber in unserer großen Güte schenken wir ihn dir doch und hoffen, du wirst dich dankbar erweisen.«

Sina saß am Abend nach der für sie sehr anstrengenden Weihnachtsfeier in ihrem kleinen Zimmer neben der Küche und betrachtete sich den Stein. Sicher, er funkelte schön. Aber mehr auch nicht. Sie konnte einen Wert darin nicht erkennen. 

Am Tag des Neujahrsfestes sprach die Elfe Sina an. »Meine liebe Wichtelin. Mir fehlt noch ein Elfenstein in meinem Haar. Würdest du mir deinen für das Fest heute borgen? Du möchtest doch auch, dass ich schön aussehe, wenn ich im Schloss tanze.«

Sina gab der Elfe ihren Stein und machte sich abends mit den anderen auf den Weg in das Schloss. Auf dem Weg befragte sie Rena, was diese mit ihren Elfensteinen machen würde, denn sie würde ja immer den gleichen an ihrem Hals tragen. 
»Was soll ich denn die Steine hüten? Ich möchte doch, dass meine Elfen schön aussehen, wenn sie im Schloss tanzen. Also habe ich sie selbstverständlich verborgt. Ich vertraue meinen Elfen.«

Diesmal blieb Sina am Ballsaal stehen und betrachtete die Gesellschaft der Elfen aufmerksam. Ihre Haare glänzten und blinkten, sie waren reich bestückt mit Elfensteinen. Die laute Musik und das alberne Gelächter der Elfen empfand Sina als Krach und es schmerzte in ihren Ohren.
»Sind sie nicht wunderschön anzusehen? Und ich gehöre zu ihnen. Sie tragen meine Steine.« Rena hatte sich neben Sina gestellt und betrachtete verzückt die Elfen. »Komm, Sina, wir sind zum Küchendienst eingeteilt. Mit unseren schäbigen Gewändern passen wir nicht in diese Gesellschaft.«

Aber Sina hatte eine Entscheidung getroffen. »Rena, ich muss gehen.«
Entsetzt blickte die Wichtelin auf. »Sag nicht, dir wird schon wieder schwindelig. Mir kannst du nichts vormachen, du bist faul und undankbar. Und gerade in der größten Not lässt du deine Elfen im Stich. Du sollst dich was schämen!«

»Ich sehe keine Not bei den Elfen. Wer tanzen kann, der kann auch arbeiten. Leb wohl Rena!«

So machte sich Sina auf den Weg zurück in das Wichtelland. Es schneite und war kalt, aber sie hatte sich warm gekleidet. Müde aber glücklich erreichte sie am Morgen des Neujahrstages die Wichtelstadt. Mutig klopfte sie an die Tür des Schmuckwichtels. Der öffnete nach einer Weile und sah verschlafen aus. 
»Nanu? Sina aus dem Reich der Elfen zurück? Das ist eine Überraschung! Komm herein und wärme dich erst auf.«

Sina freute sich, wärmte sich am Ofen die Hände und nahm dankbar Speise und Trank an. Dann löste sie das Band um ihren Hals und gab dem Wichtel den Elfenstein.
»Ich möchte ihn eintauschen gegen Vorräte, soviel, dass ich bis zum Frühjahr damit leben kann.«

Der Schmuckwichtel betrachtete sich den Stein und lachte leise auf.
»Ein Elfenstein für Wichtel. Er ist nicht viel Wert. Die Steine, die die Elfen in den folgenden Weihnachten verschenken, sind da um einiges wertvoller. Warum bietest du mir keinen von diesen an.«

»Weil die Elfen den Wichteln diese Steine kurz nach Weihnachten wieder abschwatzen!«
Nachdenklich sah der Wichtel die junge Sina an und leise sprach er: »Das habe ich mir schon gedacht. Warum haben sie dich gehen lassen?«

»Ich bin krank und scheinbar nicht nützlich. Außerdem habe ich mich nicht verabschiedet.«
»Das war klug von dir«, sprach der Wichtel, »ich gebe dir die Vorräte. Den Stein kannst du behalten.«

Sina lachte. »Nein, den Stein möchte ich nicht mehr haben. Im Sommer bringe ich dir Kräuter. Bist du damit einverstanden?«

So waren sich die beiden einig. Sina machte sich mit einem Sack Vorräte auf den Weg. Nahe ihres Heimatdorfes auf einer kleiner Anhöhe fand sie die Baumhöhle, in der sie als Kind im Sommer gerne gespielt hatte. Dort richtete sie sich ein und blieb auch dort wohnen. Sie brauchte die Ruhe und den Frieden des Waldes. 

Als das nächste Weihnachtsfest kam, hatte ihre Wichtelfamilie sie eingeladen, aber Sina wollte alleine sein. Sie hatte festgestellt, dass ihr auch Wichtelgeschwätz, wenn es denn durcheinander gerät, Schmerzen in den Ohren verursacht. So saß sie, warm eingepackt, vor ihrer Wohnung, blickte auf die Lichter ihres Dorfes und dachte über die Frage ihrer Mutter nach. ›Fühlst du dich nicht einsam da oben?‹
Sina lächelte. Nein, einsam hatte sie sich gefühlt, als sie krank und verlassen im Elfenland war. Hier spürte sie nur das Gefühl von Freiheit und Ruhe. Ein Gefühl, das sich mit keinem Stein der Welt erkaufen lässt.



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